Olivenöl Extra Vergine

Olivenöl Extra Vergine

Olivenöl Extra Vergine gehört zu den wichtigsten Produkten in der italienischen, und damit auch in der Splendido-Küche. Wann immer wir in diesem Buch Olivenöl erwähnen, ist also Olivenöl Extra Vergine gemeint. Es sagt sich leicht, man möge bitte nur gutes Olivenöl benutzen. Doch wie erkennt man es und wo bekommt man es her Die gute Nachricht vorweg: Ein Olivenöl der Spitzenklasse ist mit etwas Erfahrung schon am Geschmack zu erkennen. Jeder, der einmal eines probiert hat, wird dieses sensorische Ausnahmeerlebnis nicht mehr vergessen und kann fortan als Referenz darauf zurückgreifen. Die schlechte Nachricht: Es ist leider nicht so einfach, an ein gutes Olivenöl zu kommen, um dieses Referenzerlebnis herzustellen. Man erkennt ein gutes Olivenöl weder an der Flasche, am Etikett oder am Preis, noch am strengsten aller Bio-Siegel. Auch das freundliche Lächeln des benachbarten Olivenbauerns auf der Urlaubsinsel ist leider kein Garant für ein echtes Extra Vergine. Es tut sich zwar etwas in Supermärkten, Bioläden und bei Feinkosthändlern, aber man muss noch immer viel Glück haben, um dort ein hochwertiges Olivenöl zu finden. Zu gering sind die Produktionsmengen von echtem Olivenöl Extra Vergine, zu fragil ist das Produkt und zu wenig verbreitet das Wissen über Spitzenöle der neuesten Generation.


Die Sensation der Polyphenole


Man kann die Sache aber auch andersherum angehen und sich erstmal die Charakteristika eines minderwertigen Öls ansehen. Dafür beginnt man am besten mit der Verkostung des Biomarkt- oder Supermarkt-Olivenöls, das man gerade in der Küche stehen hat. Man gebe einen Schluck dieses Öls in ein sauberes Glas und erwärme es ein wenig mit den Händen. Man schwenke das Öl und halte seine Nase ins Glas. Ein richtig gutes Olivenöl riecht bereits überwältigend, bevor es schmeckt. Und zwar nach allem, was grün und pflanzlich ist: nach frisch geschnittenem Gras, unreifen grünen Früchten, zwischen den Händen zerriebenen grünen Blättern, angedrücktem Tomatengrün, rohem Gemüse, einer Kräuterwiese in der Sonne. Sein Geruch hat mit dem derben Geruch von konventionellen Olivenölen aus dem Supermarkt nichts zu tun. Minderwertige Öle riechen muffig, stechend, bitter, sauer, streng. Auf die Nase folgt der Mund: Man nehme einen Schluck, wende das Öl ein paarmal im Mund, ziehe dazu mehrmals, lautstark und ruckartig, etwas Luft durch die Zähne in die Mundhöhle und wende es erneut. Klingt albern, bringt aber viel, denn nur so entfalten sich die Aromen. Erneut gilt: alles, was grün, grün, grün schmeckt, ist ein gutes Zeichen für die Qualität des Öls. Manchmal sind auch blumige, nach Kräutern schmeckende Aromen dabei, und dann, wenn das Olivenöl Extra Vergine tatsächlich seinen Namen verdient hat, folgt die Sensation der Polyphenole: sie sind pfeffrig scharf und bitter. Es kratzt am Gaumen und im Hals. Polyphenole sind antioxidativ wirkende sekundäre Pflanzenstoffe. In jedem Olivenöl sind sie unterschiedlich stark ausgeprägt. Es gibt schärfere und weniger scharfe Öle, die Fachwelt kennt dafür Ausdrücke wie mild-fruchtig, mittelfruchtig, intensiv-fruchtig. Je älter das Öl wird und je mehr Licht, Wärme und Kontakt mit Sauerstoff es abbekommt, desto mehr lassen die Schärfe und die frischen, grünen Aromen nach, bis es irgendwann seine positiven gesundheitlichen Eigenschaften verliert und ranzig wird. Dabei ist ein Olivenöl mit leichten sensorischen Fehlern an sich noch kein Skandal. Es könnte denen, die Olivenöl zu einem günstigen Preis kaufen möchten, als das verkauft werden, was es ist: als »natives Olivenöl«, wie die nächst niedrigere Qualitätsstufe genannt wird. Immerhin ist der weltweite Bedarf an Olivenöl mit hochwertigem Öl allein überhaupt nicht zu decken. Nur findet man auf dem Markt gar keine als natives Olivenöl bezeichneten Öle. Sie alle werden entweder falsch deklariert als Extra Vergine (bzw. auf Deutsch Nativ Extra) verkauft. Oder, meist im untersten Supermarktregal zu finden, einfach als Olivenöl (ohne den namentlichen Zusatz von »Nativ« oder »Nativ Extra«). Das Ausgangsprodukt dieser Kategorie ist ein sensorisch so schlechtes Öl, dass es nicht zum Verzehr zugelassen ist. Erst durch Raffination, bei der die unerwünschten Geruchsstoffe und auch die Farbe des Öls entfernt werden und es mit einem minimalen Prozentsatz an nativem oder extra nativem Öl (als Minimum gilt hier ein Prozent) verschnitten wird, darf dieses Öl dann mit der Bezeichnung Olivenöl verkauft werden. Solche Öle werden gern unter Namen wie zum Beispiel »Brat-Olive« angepriesen, um dem Verbraucher zu suggerieren, es sei ideal zum Kochen, weil besonders hoch erhitzbar. Es ist offensichtlich, dass diese Behauptung nur dem Zweck dient, minderwertige Öle verkaufen zu können. Denn auch alle nativen und extra nativen Olivenöle sind dank ihres hohen Werts an einfach ungesättigten Fettsäuren bis zu 230 Grad hoch erhitzbar und haben dabei sogar noch vielfältige gesundheitliche und geschmackliche Vorteile. Wieso die Kontrolle der Bezeichnung Extra Vergine bzw. Nativ Extra im großen Stil misslingt und die Supermärkte voller falsch deklarierter Öle sind, ist eine Geschichte von Kontrollmissständen und oft leider auch Korruption. Zu eng sind die Verbindungen der Industrie zu den eigentlich zur Unabhängigkeit verpflichteten staatlichen Olivenöl Panels und zu groß ist das wirtschaftliche Interesse, auch minderwertiges Öl mit dem begehrten Merkmal Extra Vergine zu veredeln. Dabei ist die offizielle Definition der EU von Extra Vergine oder Nativ Extra seit Jahrzehnten weitestgehend unverändert: Unter anderem darf die Temperatur beim Verarbeiten der Oliven zu keinem Zeitpunkt 27 Grad überschreiten. Außerdem darf das Öl nicht mehr als 0,8 Prozent freier Fettsäuren enthalten. Schon dieser Wert ist ein Beispiel für die Industriefreundlichkeit der chemisch-analytischen Richtlinien der EU für Olivenöl der höchsten Güteklasse, denn bei Spitzenölen liegt dieser Wert meist bei unter 0,3 Prozent. Die offizielle Vorgabe für die sensorische Beschaffenheit eines Olivenöl Extra Vergine hingegen ist so streng wie subjektiv dehnbar: es darf keine sensorischen Mängel aufweisen. Um zu verstehen, was ein gutes Olivenöl Extra Vergine heute ausmacht und was damit gemeint ist, wenn von einer »neuen Generation von Olivenölen« gesprochen wird, muss man wissen, wie Olivenöl Extra Vergine früher produziert wurde, bzw. wie es meistens noch immer produziert wird. Nämlich in Steinmühlen oder den gemeinschaftlich genutzten Maschinen älterer Generation. Dies sind oft die Öle, die der nette griechische Bauer auf seinen paar Hektar Land selbst produziert, und die viele Menschen schon für die bestmögliche Olivenölqualität halten. Der Olivenbauer in der Nachbarschaft des Ferienortes verarbeitet sicher nur die eigenen Oliven und hält sich auch an alle geltenden EU-Vorgaben. Es mag auch sein, dass sein Olivenöl in den ersten Tagen nach der Pressung noch so grün und frisch schmeckt, dass es ein brauchbares Extra Vergine abgibt. Doch mit altem Gerät ist es schlichtweg nicht möglich, Olivenöl so zu produzieren und zu verpacken, dass es auch noch etwas länger als nur wenige Wochen frisch und polyphenolhaltig bleibt. Natürlich ist ein so produziertes Öl nicht gesundheitsschädlich. Aber es ist eben sehr bald auch nicht mehr gesundheitsförderlich. Und sensorisch gewinnt es nach wenigen Wochen sowieso keinen Preis mehr. Dass in Sachen Olivenöl Extra Vergine noch mehr möglich sein muss, ahnten bereits um die Jahrtausendwende herum einige engagierte Ölmühleningenieure, Önologen, Agronomen und Lebensmittelchemiker. Sie forschten in der Toskana daran, wie man der Olive noch mehr Aromen und gesundheitliche Vorteile entlocken könnte. Dabei entdeckten sie unter anderem, dass Mühlen, die die Oliven mit rotierenden Messern zu Brei zerkleinern, anstatt sie unter dem Mahlstein mit hohem Druck zu pressen, ein frischeres, gesünderes und länger haltbares Öl ergaben. Das bloße Zerschneiden der Früchte setzte viel weniger oxidative Enzyme aus dem Samen im Olivenkern frei. Durch diese Methode hielten sich mehr Polyphenole im Olivenbrei, der dann ein polyphenolhaltigeres Öl ergab. Auch gelang es den toskanischen Olivenölfetischisten unter anderem durch eine Ernte zum perfekten Reifezeitpunkt und die optimale Verarbeitung der Oliven, dem Öl eine bislang ungekannte Aromenvielfalt zu verleihen. Wer es heute also ernst meint mit seinem Olivenöl Extra Vergine, produziert es nicht mehr nur, sondern komponiert es. Einige Produzenten gehen dabei so weit, dass sie ausschließlich entkernte Oliven zu Olivenöl verarbeiten. Diese Vorgehensweise ist entsprechend aufwendig, teuer und in der Szene bekannt unter der Bezeichnung olio secondo veronelli. Ihr Namensgeber war der italienische Weinjournalist Luigi Veronelli, der sich mit seinem 2001 erdachten Olivenölkodex für eine ganz neue Herangehensweise an Olivenöl einsetzte. Neben der Entkernung werden die Oliven zum Beispiel ausschließlich von Hand geerntet, entstammen nur einer einzigen Olivensorte eines einzelnen Bauern und werden maximal 4 Stunden nach der Ernte und unter Luftabschluss verarbeitet. Bei der neuen Generation von Spitzenölen geht es also in erster Linie um die geschmackliche und gesundheitliche Qualität des Produkts. Das hat nebenbei weitreichende positive Konsequenzen für die Umwelt. Denn mit der Faszination für Spitzenöl entwickelt sich auch eine neue Wertschätzung für das Terroir der jeweiligen Olivensorten. Diese spiegeln geschmacklich die Landschaft ihrer Region wider. In der Toskana, Umbrien und den Abruzzen etwa gibt es zahlreiche würzig-scharfe Varianten, die sich für die hier typische Bauernküche mit Kohl, Hülsenfrüchten und Fleisch eignen. Im nördlichsten Olivenanbaugebiet Italiens, dem Gardasee, ist die heimische Olive eleganter, feiner und aromatisch zarter. Ihr Öl eignet sich als Begleiter für Seefisch und frisches Gemüse. Manche Olivenölsorten schmecken mehr nach Tomaten, andere nach Artischocken. Einige regelrecht blumig, man kann sie zu Desserts oder auf süßem Milcheis servieren. Man arbeitet mit Spitzenölen aber nicht nur die Eigenheiten autochthoner Olivensorten und ihrer Anbaugebiete heraus und erschafft so geschmacklich überragende Produkte, sondern hilft auch der Biodiversität und einer neuen, finanziell tragbaren Oliven- und Regionalwirtschaft jenseits der verdorbenen Großindustrie auf die Beine. Immerhin gibt es allein in Italien über 500 verschiedene Sorten von Oliven, deren Vielfalt durch industrielle Monokultur und superintensiv bewirtschaftete Olivenplantagen bedroht ist. Natürlich haben diese aufwendig produzierten Spitzenöle ihren Preis. Die Produktionskosten eines italienischen Betriebs von Spitzenolivenöl lassen sich Stand 2023 je nach Region auf etwa 15 bis 30 Euro pro Liter Olivenöl Extra Vergine beziffern. In schwierigen Lagen wie etwa Steilhängen können sie sogar bei bis zu 35 Euro pro Liter liegen. Beim Kunden außerhalb Italiens kann ein Liter Olivenöl nach dieser Rechnung also niemals unter 40 Euro pro Liter ankommen und findet sich in dieser Qualität nur beim gut ausgebildeten Fachhändler. Der Preis allein ist aber immer noch kein sicheres Kriterium für Qualität. Nur so viel steht fest: Ein billiges Öl kann aufgrund der Produktionskosten für Spitzenöl nicht richtig gut, ein teures aber sehr wohl schlecht sein. Der beste Weg zu gutem Öl führt also weiterhin über die Nase, den Mund und gute Recherche. Zwei der empfehlenswerteren Institutionen für Olivenöl sind der internationale Olivenölführer Flos Olei oder die deutschsprachige Fachzeitschrift Merum, die jedes Jahr einen sehr kritischen Taschenführer für italienische Olivenöle herausgibt. Auch ein Olivenölseminar bei ausgebildeten Verkostern zu belegen, lohnt sich. Von der Münchner Verkosterin Michaela Bogner gibt es zudem ein fundiertes Buch mit dem Titel Superolio über die Welt der neuen Spitzenöle. Hat man endlich ein gutes Olivenöl gefunden, lohnt sich vor jedem Kauf noch ein schneller Blick aufs Etikett: am besten kauft man immer die aktuelle Ernte, das heißt die Produktion aus dem letzten Herbst und Winter. Oft ist diese mit zwei Jahreszahlen angegeben, da viele Betriebe zum Jahreswechsel produzieren. Spitzenöle halten sich heute ungeöffnet und bei guter Lagerung aufgrund der fortgeschrittenen Technologie zwar länger als früher, trotzdem sollte man ein Öl für den vollen Genuss unbedingt innerhalb eines Jahres ab Produktionsdatum verbrauchen. Gedanken wie »Das hebe ich mir lieber für einen besseren Zeitpunkt auf« sind selten so fehl am Platz wie bei Olivenöl. Auch einmal geöffnet sollte man es immer fest verschlossen (jeder Sauerstoffkontakt bedeutet Oxidation) und so dunkel und kühl wie möglich lagern. Die Lagerung im Kühlschrank ist unpraktisch, da gutes Olivenöl im Kühlschrank fest wird. Aber ein zumindest vor direkter Sonneneinstrahlung geschützter Platz in der Küche, an dem es nicht wärmer wird als 18 bis 25 Grad, sollte sich finden lassen (die direkte Nachbarschaft zu Herdplatte und Ofen gilt es zu vermeiden). Und nochmal: Ja, man kann, darf und sollte mit Spitzenölen auch backen, braten und frittieren. Je schärfer und damit polyphenolhaltiger das Öl ist, desto besser. Hochpolyphenolhaltige Öle können beim Braten das Kochgut sogar schützen. Massiert man etwa rohes Fleisch vor dem Grillen mit Spitzenöl ein, oxidiert das Fleischfett nicht so stark und es bilden sich weniger freie Radikale aus. Allerdings entfalten sich die feinen Aromen sehr guter Öle am besten bei maximal um die 26 Grad. So oder so ist es ratsam, eine Speise auf dem Teller kurz vor dem Verzehr erneut mit einem Schuss Olivenöl zu bedenken, die aufsteigenden Aromen zu genießen und es auf diese Weise nicht nur beim Kochen als Kochfett einzusetzen, sondern immer auch als kostbares Gewürz zu betrachten.

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