Über Essig

Über Essig

Ohne Essig ist das Leben in der Küche nur halb so spannend. Nicht nur gibt es eine Menge Gerichte, in denen Essig offiziell eine große Rolle spielt. Auch ist Essig manchmal genau die Geheimzutat in einer Soße, die gerade noch gefehlt hat – obwohl sie nicht im Rezept steht. Essig ist sparsam eingesetzt ein genauso hervorragendes Basis-Würzmittel wie Salz, Pfeffer oder Sardellen. Und so besteht auch die Kunst des Würzens mit Essig darin, dass man ihn nicht eindeutig herausschmeckt, sondern lediglich feststellt, wie ausbalanciert eine bestimmte Speise geraten ist.

Aber Essig kann nicht nur würzen, er wirkt auch konservierend. Nicht umsonst finden sich weltweit in Lebensmittelgeschäften ganze Regalbretter voller Sott’aceti: In süß-saurem Essigsud eingelegtes Gemüse (in Italien wird dieser Sud oft Agrodolce genannt) hält sich ewig und schafft als Beilage zu fetteren und deftigeren Gerichten den idealen Geschmacksausgleich. Außerdem ist Essig ein hervorragender Hilfskoch: Durch seine Säure besitzt er Beiz- und Gareigenschaften, dringt tief in die Fasern von Fleisch oder Fisch ein, zersetzt Bindegewebe und Sehnen und macht mürbe und zart. Das berühmteste Beispiel zeigt sich in der deutschen Küche in Form des Fränkischen oder Rheinischen Sauerbratens.

Aber auch in Italien gibt man gern etwas Essig zum Braten. Dabei braucht Essig streng genommen nicht einmal Hitze, um etwas zu garen: Fisch einzig mithilfe von Säure zu garen, ist ein beliebtes Prinzip in Ländern mit Meeresküste. In Peru nennt sich das Ceviche, in der italienischen Küche begegnet es einem in der Form roh marinierter Sardellen. Andere berühmte italienische Essigzubereitungen sind das Prinzip »in Carpione«, das sich von der Tradition des eingelegten Süßwasserfischs (der im Gardasee heimischen Forelle Salmo Trutta Carpio) ableitet und mit dem heute viele Zubereitungen bezeichnet werden, bei denen Fisch, Fleisch oder Gemüse in einem Sud aus Weißweinessig, Weißwein, Zwiebeln und Kräutern mariniert werden.

Ganz ähnlich ist die eher im Veneto typische Machart »in Saor« oder die im Süden typische Essigzubereitung »alla Scapece«. Wenngleich es natürlich auch in Italien zahlreiche spannende Nischenessige aus Obst und Gemüse zu entdecken gibt, bietet es als großes Weinland vor allem viele Essigsorten aus Trauben.

Große bekannte und trotzdem überaus empfehlenswerte Hersteller wie etwa Mengazzoli aus dem lombardischen Mantua produzieren neben ihrem Standardsortiment oft auch Essige aus jeweils nur einer Weinsorte. Der Unterschied etwa zwischen einem Barolo- und Chianti-Rotweinessig ist dabei riesig und eine Parallelverkostung überaus inspirierend. Oft sieht man bereits am differenzierten Sortiment, wer es ernst meint mit seiner Berufung. Werden die verwendeten Traubensorten oder der zugrunde liegende Wein explizit auf der Flasche genannt, stehen die Chancen jedenfalls gut, dass es sich um einen hochwertigen Essig handelt.

Die größte Essig-Berühmtheit Italiens aber ist wohl der Aceto Balsamico. Leider hat ihn in den vergangenen Jahrzehnten ein trauriges Schicksal ereilt. Ursprünglich eine regionale Delikatesse, die von vielen Bauern und Winzern im Nebenerwerb produziert wurde, ist heute unter seinem Namen ein Massenprodukt entstanden, das mit dem Original häufig nichts mehr zu tun hat.

Die Herstellung eines echten Balsamico braucht vor allem Zeit. Ein dünnflüssiger Aceto Balsamico di Modena IGP, wie es ihn in vielen Supermärkten für wenige Euro zu kaufen gibt, kann diese Zeit nicht genossen haben. Sein IGP-Siegel ist auch keine Garantie dafür, dass es sich um ein Qualitätsprodukt handelt. Es besagt lediglich, dass Trauben oder Essig einmal Modeneser Boden berührt haben müssen. Die meisten in Supermärkten und Restaurants angebotenen Balsamessige bestehen vor allem aus industriellem und viel zu aggressiv-säuerlichem Wein- oder Branntweinessig, Zuckercouleur und künstlichen Verdickungsmitteln. Doch es gibt auch hochwertige Aceti Balsamici di Modena IGP. Wie so oft, lohnt sich ein Blick aufs Etikett: Diese Essige kommen ohne den Zusatz von Zucker, billigem Weinessig oder sonstigen Zutaten aus und sind oft ausschließlich aus den autochthonen Traubensorten der Region gewonnen. Sie bestehen aus eingekochtem, holzgereiftem Traubenmost (Mosto Cotto) und Weinessig. Manchmal werden die Traubensorten sogar einzeln auf dem Etikett aufgeführt. Die Kunst ist, das richtige Verhältnis dieser beiden Zutaten zu finden. Der Mostanteil sollte überwiegen, aber nicht so sehr, dass seine malzigen Noten die feinen Aromen des Weinessigs verdrängen.

Einer der empfehlenswertesten Hersteller ist Cavalli aus der Nähe von Reggio Emilia. Sein Riserva genannter Balsamico besteht sogar ausschließlich aus selbst angebauten Trebbiano-Trauben und ist ein Musterbeispiel für einen guten Balsamessig. Und dann ist da noch das kostbare Original. Man bekommt es nur, wenn man auf das Wörtchen »tradizionale« achtet. Der Aceto Balsamico Tradizionale di Modena DOP (genauso wie der Aceto Balsamico Tradizionale di Reggio Emilia DOP) wird wie eh und je nur in sehr kleinen Mengen und ausschließlich in einem streng begrenzten Gebiet um Modena und Reggio Emilia hergestellt. Alle Schritte der Produktion müssen per Definition hier erfolgen und der Essig reift für mindestens 12 bis 25 Jahre (je nach Qualitätsstufe) in einer vom Produzenten selbst kuratierten Abfolge von fünf bis acht Fässern aus unterschiedlichen Holzsorten wie Kastanie, Maulbeerbaum, Eiche, Kirsche, Wacholder, Esche oder Robinie. Die besten Abfüllungen können bis zu mehrere hundert Euro für hundert Milliliter kosten (es gibt den Tradizionale ohnehin nur in einheitlich gestalteten Hundert-Milliliter-Flaschen). Man setzt das Elixier entsprechend sparsam ein: wenige Tropfen auf Käse, Gemüse, gebratenem Fleisch oder als letzte Verfeinerung eines hauptsächlich mit anderem Essig angerührten Salatdressings.

Und auch der dem Aceto Balsamico zugrunde liegende Traubenmost namens Saba ist die Anschaffung wert, wenngleich er streng genommen mit Essig nichts zu tun hat. Er wird 48 bis 60 Stunden lang auf offenem Feuer eingekocht und hat danach eine dichte, sirupartige Konsistenz mit Noten von Honig, Zuckerrübensirup und Traubensaft. Er eignet sich bestens für den Einsatz auf Käseplatten oder in Desserts wie einer Ricottacreme oder über Naturjoghurt.

In der Splendido-Küche haben wir immer mindestens einen guten Weißwein- und Rotweinessig vorrätig, dazu ein Fläschchen Aceto Balsamico Tradizionale und zusätzlich einen süßen mildfruchtigen Condimento Balsamico Bianco Invecchiato. Da es sich hierbei nicht wirklich um Balsamico handelt, ist der Name etwas irreführend, dennoch bereichert er mit seinen honigartigen süß-würzigen Noten jedes Salatdressing.

Er wird aus einer Mischung von Weinessig und Traubenmost hergestellt und durfte vor der Abfüllung im besten Fall noch einige Jahre in aromatischen Fässern aus zum Beispiel Eschenholz reifen, wie dann sein namentlicher Zusatz Invecchiato anzeigt. Da Essig selbst geöffnet nicht verdirbt, kann man sich im Laufe der Zeit besten Gewissens eine kleine Sammlung anschaffen – sie wird die Küchenpraxis entschieden bereichern.

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